Datenbank Kinder- und Jugendliteraturforschung


Österreichische Kinder- und Jugendliteratur zwischen 1933 und 1945

Diese Datenbank entstand im Rahmen des Projekts "Angepasst, verdrängt, verfolgt.
Österreichische Kinder- und Jugendliteratur in den Jahren 1933 bis 1945. Karriereverläufe im Vergleich. Finanziert vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (Jubiläumsfondsprojekt Nr. 13989) und wird laufend ergänzt.

Hinweise bitte an susanne.blumesberger@univie.ac.at

Liste

Vorname: Johanna

Familienname: Haarer

Andere Namensformen: GEB. BARSCH

Geburtsort: Tetschen

Geburtsland: Böhmen

Geburtsdatum: 3.10.1900

Sterbeort: München

Todesdatum: 30.4.1988

Herkunft: Vater: Alois Barsch; Mutter: Anna Barsch. Ihr Bruder starb mit zehn Jahren.

Bildung: Besuch der Volksschule in Bodenbach, kam mit 16 Jahren in ein Internat, zunächst im Landerziehungsheim „Haubinda“ und später im Landerziehungsheim „Bieberstein“, wo sie das Abitur ablegte. Danach studierte sie in Heidelberg, Göttingen und München Medizin

Beruf: Ärztin und Autorin

Lebenslauf: Johanna Haarer arbeitete zunächst im elterlichen Papierwarengeschäft und entschloss sich gegen den Wunsch der Eltern, Medizin zu studieren. Sie war Volontärin am Münchner Krankenhaus, danach Fachärztin für Lungenkrankheiten im Sanatorium Harlaching. Nach ihrer zweiten Heirat und der Geburt ihrer Kinder gab sie den Beruf auf. 1936 wurde sie von der NSDAP zur ehrenamtlichen Mitarbeit herangezogen und wurde Gausachbearbeiterin für rassenpolitische Fragen in der NS-Frauenschaft. Außerdem engagierte sie sich im „Nationalsozialistischen Volksverein“, im „Hilfswerk Mutter und Kind“ sowie in der „Münchner Mütterschule“. In Vorträgen trat sie vehement gegen den vermeintlichen Verfall der Mutterschaft und der Familie ein. Nach der Geburt ihrer ersten Zwillinge beschäftigte sie sich mit der Säuglingspflege und schrieb zahlreiche Zeitungsartikel, ohne jemals eine betreffende Ausbildung absolviert zu haben. Der Verlag Lehmann drängte sie, das Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ zu verfassen. Es diente in den Kursen der Reichsmütterschulungen der NS-Frauenschaft als Lehrmittelgrundlage. Die in diesem Buch vorgestellten Erziehungsvorstellungen sind eng an Hitlers „Mein Kampf“ angelehnt. Sie warnt darin vor zu vielen zärtlichen Gefühlen den Kindern gegenüber, vor zu wenig Härte in der Erziehung. Das Buch wurde unter dem Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ zuletzt 1987 herausgegeben. Der Fortsetzungsband trug den Titel „Unsere kleinen Kinder“, ein Buch über Ernährung, Kleidung und medizinische Versorgung der Kinder. Von der Frauenschaft wurde sie auch dazu gedrängt, das „Kinderbuch“ „Mutter, erzähl von Adolf Hitler“ zu schreiben. 1945 wurde sie verhaftet. Als ihr Mann von ihrem Schicksal erfuhr, nahm er sich das Leben. Johanna Haarer verbrachte ein Jahr in drei verschiedenen amerikanischen Internierungslagern, wo sie als Ärztin tätig war und laut ihrer Tochter gezwungen wurde, falsche Diagnosen zu erstellen, um sich ihr Essen zu verdienen. Nach der Entlassung versuchte Haarer wieder als Ärztin Fuß zu fassen, erhielt jedoch keine Erlaubnis, eine Praxis zu eröffnen. Schließlich wechselte sie in den öffentlichen Dienst und fuhr bis zu ihrer Pensionierung 1965 von Gesundheitsamt zu Gesundheitsamt. Spez. Wirkungsbereich: Mit „Mutter, erzähl von Adolf Hitler“ hat Dr. Haarer ein typisches Kinderbuch des „Dritten Reiches“ geschaffen. Die Feindbilder, allen voran Juden und Kommunisten, werden durchwegs als böse und schlecht dargestellt, unterstrichen von den dazugehörenden Karikaturen, während die Deutschen, und hier natürlich nur die „Arier“, ohne Makel gezeichnet werden. Ziel des Buches ist, das wird besonders am Schluss deutlich, die zuhörenden oder selbstlesenden Kinder zu guten Mitgliedern der HJ oder des BDM zu machen. Das Buch ist in Märchenform geschrieben. Hauptfigur ist Adolf Hitler als Retter der Deutschen und somit als Retter der Welt. Das Vorlesebuch war Pflichtlektüre in vielen Kindergärten, obwohl es eigentlich erst ab acht Jahren empfohlen war. Erst 1985 wurde die Kontinuität der Haarer-Bücher öffentlich infrage gestellt.

Werke: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. München: Lehmann 1934, 1936, 1938. Ü: 1942 Nl. Unter dem Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ München: Gerber 1953, 1956, 1959, 1960, 1962, 1964, 1965, 1976, 1979, 1983. Ü: 1962 I. (Erreichte in zahlreichen „bereinigten“ Versionen unter dem späteren Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ eine Gesamtauflage von mehr als 1,2 Millionen Exemplaren.) Säuglingspflege für junge Mädchen. Unterrichtsbuch für Schulen. Esslingen: Burgbücherei 1937, 9. Aufl. 1964. Mutterschaft und Familienpflege im neuen Reich. Volksbildungskanzlei München des Landesverbandes für nationale Volkserziehung. Basiert auf einem Vortrag mit dem Titel „Das verwaiste Kind und seine Stellung in der Volksgemeinschaft“ von 1937. Unsere kleinen Kinder – Ernährung und Wachstum – Pflege und Kleidung – Entwicklung und Erziehung. München: Lehmann 1937, 1938, 5. Aufl. 1939, 6. Aufl. 1940, 1941, 8. Aufl. 1942, 9. Aufl. 1943; München: Gerber 1958. (Erschien in weiteren Auflagen bis 1964.) Frau sein und gesund bleiben. München: Gerber 1950, 1952, 1962. Gesund und schön durchs Leben gehen. Eine ländliche Gesundheitsfibel. München: Bayerischer Landwirtschaftsverlag 1952. Grosse Kinder – große Sorgen. Kinder in der Reifezeit. Frankf./M.: Humboldt 1954, 1955. (Zusammen mit Esther von Reichlin.) Unsere Schulkinder. München: Gerber 1950, 1955, 3. Aufl. 1959, 1960, 1965. Mein Strickbuch. München: Gerber 1950, 1951. Die Welt des Arztes. Ein medizinisches Buch für Ausländer. München: Hueber 1957, 2. Aufl. 1962, 3. Aufl. 1966, 5. neubearbeitete Aufl. 1975. Kinder auf dem Bauernhof. München: Bayerischer Landwirtschaftsverlag 1957; 2. Bd.: Unser Kind und die Erziehung auf dem Lande (Mitarbeit). München: Bayerischer Landwirtschaftsverlag 1959. Deutscher Alltag: Ein Gesprächsbuch für Ausländer. München: Hueber 1959, 1960; erschien 1962 in Stockholm.

Kinderliteratur: Mutter, erzähl von Adolf Hitler. Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen und Selbstlesen für kleinere und größere Kinder. Mit 57 Strichzeichnungen von Rolf Winkler. München: Lehmann 1939, 5. Aufl. 1943. (Zahlreiche Neuauflagen.)

Quellen: Blumesberger, Susanne: Handbuch der österreichischen Kinder- und Jugendschriftstellerinnen.Zwei Bände. Bd. 1 A-L, Bd. 2 M-Z. Wien: Böhlau 2014 http://phaidra.univie.ac.at/o:368982 Telefongespräch Susanne Blumesberger mit Dr. Anna Hutzel (Tochter) am 3.11.2000 Dr. Anna Hutzel wies in dem Telefongespräch darauf hin, dass ihre Mutter ihre nationalsozialistische Einstellung nie geändert habe. Bis zu ihrem Tod habe man nie über das Dritte Reich mit ihr sprechen können. Probleme innerhalb der Familie seien mit Gewalt gelöst worden, unter der Gefühlskälte der Mutter hätten die Kinder leiden müssen; Berger, Manfred: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Frankf./M.: Brandes & Apsel 1995; Johanna Haarer. In: Textor, Martin R. (Hg.): Kindergartenpädagogik; online-Handbuch: www.kindergartenpaedagogik.de.

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