Diese Datenbank entstand im Rahmen des Projekts "Angepasst, verdrängt, verfolgt.
Österreichische Kinder- und Jugendliteratur in den Jahren 1933 bis 1945. Karriereverläufe im Vergleich. Finanziert vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (Jubiläumsfondsprojekt Nr. 13989) und wird laufend ergänzt.
Hinweise bitte an susanne.blumesberger@univie.ac.at
Vorname: Adrienne
Familienname: Thomas
Andere Namensformen: Hertha Strauch; Deutsch; Lesser; Erika Theobald
Geburtsort: St. Avold/Moselle, Elsaß-Lothringen
Geburtsland: Frankreich
Geburtsdatum: 24.6.1897
Sterbeort: Wien
Sterbeland: Österreich
Todesdatum: 7.11.1980
Herkunft: Stammt aus einer jüdischen wohlhabenden Familie. Ihre Mutter war Johanna Bernstein (1862-1944); ihr Vater Julius Strauch, Betreibers eines Wäsche- und Kurzwarengeschäftes mit der Bezeichnung „Filiale Knopf“ (1867-1927); 1 Schwester, Alice (*1895), deportiert, starb in einem KZ.
Bildung: Zweisprachig aufgewachsen. Erhielt bis zum 10. Lebensjahr eine rein französische Erziehung, Mädchenlyzeum in Metz, nach der Mittleren Reife besuchte sie eine Industrieschule mit praktisch-hauswirtschaftlichem Profil. 1918 Gesangs- und Schauspielstudium
Beruf: Erzählerin und Kinderbuchautorin
Lebenslauf: Während des ersten Weltkrieges, den sie in der Großgarnisonstadt Metz erlebte, diente sie als Rot-Kreuz Schwester, zunächst in Metz und später in Berlin-Mariendorf. Später entstand durch diese Erfahrungen, die sie in einem später veröffentlichten Tagebuch festhielt, der sehr erfolgreiche Antikriegs- und Liebesroman „Die Katrin wird Soldat“. Neben des Kriegsdienstes nahm sie Gesangsstunden und sang in einem Mädchenchor. Kurzzeitig war sie auch als Erzieherin in einer Volksschule tätig. 1918 begann sie ein Gesangs- und Schauspielstudium an einem Privatkonservatorium in Frankfurt am Main. Sie lebte später in Berlin und in Lugano. Ab 1925 schrieb sie literarische Beiträge u.a. für die „Vossische Zeitung“ und für das „Neue Wiener Tagblatt“. 1930 wurde sie schriftstellerisch tätig. 1932 ging sie in die Schweiz, 1933 nach Frankreich und 1934 nach Österreich. 1937 war sie auf Vortragstournee in Palästina. Wieder zurück in Wien, erhielt sie im März 1938 den Befehl, sich im Gestapo-Hauptquartier zu melden. Sie entschloß sich jedoch zu fliehen und emigrierte am 5. April mit Hilfe französischer Freunde und einem falschen Paß auf Umwegen wieder nach Frankreich. Ihre Flucht brachte sie in die Tschechoslowakei, nach Ungarn, Jugoslawien und Italien bis nach Straßburg. Ihre Manuskripte mussten allerdings zurückbleiben. Am 15. Mai 1940 wurde sie im Frauenlager Gurs interniert. Mit gefälschten Entlassungspapieren konnte sie jedoch entkommen. Sie lebte in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, wo sie sich bei den Bauern durch Wäschewaschen und Handarbeiten Geld verdiente. Mit Hilfe des Emergency Rescue Committee gelang ihr die Flucht in die USA. Am 13. September 1940 kam sie in New York an. Sie lebte dort – zunächst im Park Plaza Hotel, das sehr viele europäische EmigrantInnen beherbergte – als freie Autorin und publizierte ihre Werke in Exilverlagen. Als Mitglied der Free World Association wurde sie 1942 Sekretärin der europäischen Niederlassung und Leiterin der deutschen und österreichischen Abteilung. Während der Nazizeit waren ihre Werke verboten, sie zählte zu den „verbrannten“ Autoren. Im Exil schrieb sie Beiträge für das „Neue Wiener Tagblatt“, für die „Basler Nachrichten“, für die „Neue Jüdische Zeitung“ und für das „Free World Magazine“. Dort leitete sie den deutschen und österreichischen Sektor. Thomas Adrienne hatte sich in Amerika gut eingelebt, trotzdem kehrte sie 1947, auf Drängen von Julius Deutsch, nach Österreich zurück. Ab 1948 schrieb sie für die Wiener Tageszeitung „Neues Österreich“ eine Artikelserie. Außerdem verfasste sie Romane, Novellen und Hörspiele. In den fünfziger Jahren ging sie auf mehrere Vortragsreisen und las vor allem vor Mitgliedern des PEN-Clubs aus ihren Werken. Später beschäftigte sie sich nur noch mit Überarbeitungen und Korrekturen ihrer Werke und war hauptsächlich ihrem Mann Julius Deutsch bei der Niederschrift seiner Memoiren behilflich. Nebenbei hielt sie weiterhin Vorträge, so zum Beispiel unter dem Titel „Israel vor 30 Jahren“ 1967 im Palais Palffy. Das Haus des Ehepaares in der Himmelstraße wurde zu einer Art gesellschaftlicher Salon. Nach dem Tod von Julius Deutsch bemühte sie sich vor allem sein Andenken zu bewahren und wurde seine Nachlassverwalterin. Später ging sie wieder auf Reisen, unter anderem nach Israel. Zuletzt lebte sie eher zurückgezogen im Wiener Grinzing. Adrienne Thomas, die 1951 zum evangelischen Glauben konvertiert war, war während ihres ganzen Lebens eine engagierte Pazifistin und trat für Freiheit und Menschlichkeit ein.
Werke: Dreiviertel Neugier. Amsterdam: de Lange 1934; Wien: Tal 1934; Hannover: Fackelträger-Verlag 1954. Ü: I 1934, Nl 1935, F 1936.
Von Johanna zu Jane. Amsterdam: de Lange 1939. (Erschien später als „Wettlauf mit dem Traum“. Amsterdam, de Lange 1939, Wien: Neues Österreich 1949, Köln, Berlin: Kiepenheuer 1951, Hannover: Fackelträger-Verlag 1955 (Faro-Bücherei 14.)
Reisen Sie ab, Mademoiselle! 1944 in Schweden, Amsterdam: de Lange 1947; Wien: Danubia 1944, 1947, 1948, 1950; Wien: Ueberreuter 1952; Berlin: Verlag das Neue Berlin 1957, 2. Auflage 1958, 1961, Hamburg: Konkret-Literatur-Verlag 1982 (Bibliothek der verbrannten Bücher), Frankf./M.: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1985, 1988. Wurde in sieben Sprachen übersetzt, u.a. Sch. 1945; Dän. 1946.
Ein Fenster am East River. Amsterdam: de Lange 1945, Wien, Salzburg: Alpen-Verlag 1948.
Da und dort. Wien: Danubia 1950.
Markusplatz um vier. Wien, Heidelberg: Ueberreuter 1955, 1959; Wien: Buchgemeinschaft Jung Donauland 1959, 1961, Wien: Tosa 1971. Ü: I 1957.
Liebe - Brot der Armen. Ein Roman aus Elsaß-Lothringen. Gütersloh: Bertelsmann 1956.
Andrea und Viktoria. Eine Erzählung von jungen Menschen. Erzählung. Wien: Tosa-Verlag 1965, Stuttgart: Sectrum Verlag 1981.
Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Ein Tagebuch. Hg. von Günter Scholdt. Wien: Böhlau 2004.
Kinderliteratur: Die Katrin wird Soldat. Ein Roman aus Elsaß-Lothringen. Berlin: Propyläen Verlag 1930, 1932; Amsterdam: Allert de Lange 1938, 1950; Wien: Danubia 1950; Marbach: Bücher für Alle, Gemeinschaft der Bücherfreunde 1949, 1951; Frankf./M.: ner-tamid-Verlag 1962; Gütersloh: Bertelsmann-Lesering 1964, 1970, Frankf./M.: Fischer 1985, München: Goldmann 1988. Das Buch, das vorher von einem halben Dutzend Verlagen abgelehnt worden war, hatte später großen Erfolg und wurde in sechzehn Sprachen übersetzt, u.a.: I 1931, F 1933, Nl 1940.
Katrin! Die Welt brennt! Amsterdam: Allert de Lange 1936. Ü: Tsch., Schw., Nl. 1936; F., Poln., E. 1937.
Viktoria. Eine Erzählung von jungen Menschen. Basel, Wien, Mährisch-Ostrau: Atrium 1937; 1938 erschien eine Schulausgabe in deutscher Sprache in Holland, Wien, Heidelberg: Ueberreuter 1952, 1959, 1976, Berlin: Deutsche Buch-Gemeinschaft 1967. Ü: I, Nl. 1955.
Andrea. Eine Erzählung von jungen Menschen. Basel, Wien, Mährisch-Ostrau: Atrium 1937; Zwolle: Tjeenk 1938 (= Neue deutsche Bibliothek, 20); Wien: Ueberreuter 1949, 1950, 1951, 1952, 1954, 1956, 1976; Wien: Buchgemeinschaft Jung-Donauland 1955, Berlin: Deutsche Buch-Gemeinschaft 1966. Ü: Tsch., Nl. 1937; Norw., U. 1938; Poln. 1939; I 1946; Schw. 1949.
Ein Hund ging verloren. Eine Erzählung für die Jugend. Wien, Heidelberg: Ueberreuter 1953, 1973 unter dem Titel Ein Hund zweier Herren. Ü: I 1955.
Rezeptions, Auszeichnungen: Ab 1948 war sie Mitglied und Vorstandsmitglied des österreichischen PEN-Clubs, 1948-1950 Mitglied der SPÖ. Sie erhielt am 18. April 1969 die große Ehrenmedaille in Silber und die Ordensschnalle der Bundeshauptstadt Wien und am 25. Juni 1973 den Professorentitel vom österreichischen Unterrichtsministerium verliehen.
Anmerkungen: Gilt als eine bekannte Autorin der Weimarer Republik. Über ihr Buch „Viktoria“ hieß es am 27.11.1937 in „Das Kleine Blatt“: „Fortsetzungen erfolgreicher Bücher erreichen fast niemals die Höhe des Anfangs. Leider macht diese neue Erzählung von jungen Menschen von dieser Regel keine Ausnahme: sie ist viel schwächer als „Andrea“. Nicht nur der schleppende Beginn beweist dies – es dauert hundertzwanzig Seiten, bis der Roman richtig anfängt – auch die restlichen zweihundert Seiten sind an Glanz und Farbe der Erfindung ärmer, das dramatische Geschehen ist dürftiger, dem Kernproblem: Viktoria wird Filmdiva fehlt fast die Spannung, denn man spürt vom Anfang, ihr Geschick formt ein guter Wille, jener der Autorin“. „Die Katrin wird Soldat“ größter Bucherfolg einer Frau in Deutschland, in 15 Sprachen übersetzt, zählt neben Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ zu den wichtigsten Antikriegsromanen. „Die Katrin wird Soldat“ wurde am 10. Mai 1933 Opfer der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen. Über ihren Antikriegsroman „Die Katrin wird Soldat“ schrieb sie: „Ich hatte in Deutschland den größten Bucherfolg, den eine Frau dort jemals hatte. Trotzdem war es der größte Mißerfolg, den ein Buch dieser Art nur haben kann.“ (zitiert nach Gürtler, Schmid-Bortenschlager, S. 265) „Vielleicht konnte man zu Kindern noch reden. Mit den Erwachsenen hatte ich keine gemeinsame Sprache mehr“ (zitiert nach Gürtler, Schmid-Bortenschlager, S. 265) Über ihre Exilzeit in Amerika meinte sie: „Torberg hat einmal gesagt, es waren 12 verlorene Jahre. Für mich waren es 12 gewonnene Jahre. Ich war überall gern. Ich hab’ mich überall zurechtgefunden. Ich hab’ das Beste daraus gemacht, ich hab’ mich nicht unterkriegen lassen.“ (Kreis, S. 79)
Quellen: Das kleine Blatt, 27.11.1937, S. 12; Die Presse, 26.6.1957; Asper 2001; Bolbecher/Kaiser; Bruckmann; Fuss Philipps; Gürtler/Schmid-Bortenschlager; Hessmann 1999; Hladej 1968; HöAj; Killy; KJL Exil 1999; Klotz; Krausze 2006; Kreis 1993; LexöKJL; Pichler, M. 1955; Röder 1951; Rohlf 2001; Schmid-Bortenschlager/Schnedl-Bubenicek; Scholdt 2004; Schramm 2001; Seeber_KV; Shavit/Ewers; Sinhuber 1990; Spalek/Strelka; Stock/Heilinger/Stock; Strohmeyr; Teichl; Wall; Weiskopf 1981; Zohn.
Weidermann, Volker: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2008.
Budke, Petra; Jutta Schulze: Schriftstellerinnen in Berlin. 1871 bis 1945. Ein Lexikon zu Leben und Werk. Berlin: Orlanda Frauenverlag 1995.
Blumesberger, Susanne: Handbuch der österreichischen Kinder- und Jugendschriftstellerinnen.Zwei Bände. Bd. 1 A-L, Bd. 2 M-Z. Wien: Böhlau 2014
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